4. Mai 2012: Der offizielle Wesermarathon war bereits vor einer Woche, doch das lange Wochenende um den 1. Mai hatte zu einigen Verhinderungen geführt, so dass wir uns (nach der Pause in 2011) zu einer Tour "einfach so" in der Woche darauf entschieden. Da wir dergestalt geplant hatten, am Samstag die Wesermarathon-Etappe bis Holzminden (Fluss-km 80)zu fahren und am Sonntag bis Hameln (km 130) zu verlängern, war als Anreisetag der Freitag festgelegt worden.
So rücken im Laufe des Freitags gegen 17 Uhr immerhin fünfzehn Ruder- oder Begleitwillige an, meist mit dem Neunsitzer von Teilauto, der Rest mit dem "Wurstmobil" bzw. per Bahn. Obwohl ich anfangs leichte Bedenken hatte, ob die Verbindung Braunschweig-Seesen-Kreiensen-Göttingen-Hann Münden ohne Anschlussverlust zu schaffen sei, sind alle Züge püktlich. Die Sonne scheint bis hinter Seesen, der Raps leuchtet, unterschlieliche Grüntöne beleben die Natur. Cantus bietet leider nicht den 428 043, der im Modellbahn-Fahrzeugbestand ist, aber der 051 ist ebenfalls ein vierteiliger FLIRT.
Cantus-FLIRT 428 051 in Hann Münden
Immerhin hat man sich dazu entschlossen, das Niedersachsen-Ticket auch auf der Relation Göttingen-Hannoversch Münden gelten zu lassen, obwohl Eichenberg und Witzenhausen (samt Gertenbach) in Hessen liegen. Die "Hannöversche Südbahn" Göttingen-Hann Münden mit der so genannten Dransfelder Rampe sah am 31. Mai 1980 den letzten offiziellen Personenzug, gleichzeitig wurde der Verkehr von Göttingen bis Dransfeld ganz eingestellt. Nach Jahren gewissen Güterverkehrs bis Dransfeld, später nur bis Oberscheden, fuhr am 1. Oktober 1994 auch der letzte Güterzug. Im April 1995 gab es noch eine Schulungsfahrt, anschließend wurden nach und nach die Gleise abgebaut, einschließlich der Hafenbahn (dort sind noch Gleisreste zu sehen). Teilweise ist die Strecke bereits entwidmet, verkauft und überbaut.
Mit meinem "handlichen" Trolli aus dem Tauchsport-Equipment bewaffnet, begebe ich mich auf die Reise vom Bahnhof Hannoversch Münden bis zur Jugendherberge am anderen Ende der Stadt. Unterwegs ein Blick in eine bestimmte Seitenstraße: Nanu, der Italiener ist nicht mehr da?
Dessen ungeachtet verfolge ich den Weg weiter, ohne konkreten Treffpunkt, aber mit guter Hoffnung, in der Jugendherberge jemanden zu treffen. Doch auf dem Weserpfad sehe ich oben schon Auguste und August fahren, kurz darauf kommt mir auch das Wurstmobil entgegen. Der erste Trupp hat beim Herbergsvater bereits die Schlüssel abgeholt, so dass ich einige Zeit später beim Anruf von Silo auf seine Frage, ob ich es denn pünktlich schaffe, antworten kann, dass ich bereits mein Bett bezogen habe. Unterdessen ziehen die ersten Schauer durch.
Regenbogen in Hannoversch Münden
Aufgrund der Aussage, dass beim Stammitaliener bereits reserviert wurde, legen sich nun auch meine Bedenken, und ich vermute einen Irrtum meinerseits. Ein Fehler, der sich noch rächen soll. Nachdem Auguste am rechten Ufer aufgerüstet und zur Jugendherberge gerudert wurde, machen wir uns also frohen Mutes auf. Doch pünktlich vor dem ehemaligen Ristorante eingetroffen, ist da nichts mehr. Zum Glück lässt sich das Problem mit einem Anruf klären, und wir gehen zum neuen Standort. Wegen der Tageszeit nach dem Abendessen entfällt dann auch das Eis hinterher.
5. Mai 2012: Frühstück um 7:30 Uhr, das hatten wir an der Weser lange nicht mehr. Jugendherbergsmäßig gut versorgt, machen wir uns auf den Weg zum Etappenziel Oedelsheim. Es ist zwar kalt, aber praktisch trocken. Ein Teil der Gruppe nimmt mangels Bootsplätzen das Fahrrad, ist damit wegen des manchmal doch kräftigen Anstiegs auf dem Weserradweg und der gern mal abspringenden Fahrradkette nur bedingt glücklich. Somit ist Auguste, kurz vor 11:30 Uhr, noch vor den Radlern in Oedelsheim.
Das Haus des Fährmanns in Oedelsheim
Die Fähre an sich wird ja meist nach den Orten benannt, zwischen denen sie verkehrt. Welchen Hintergrund allerdings die "Gestiefelter Kater Fähre Oedelsheim" hat, erschließt sich erst, wenn man weiß, dass Oedelsheim an der Deutschen Märchenstraße liegt und eben den Gestiefelten Kater als zugeordnete Figur hat. Auch Schneewittchen ist in Oberweser zuhause (jedenfalls laut Märchenstraße, obwohl eigentlich Bergfreiheit in Wildungen Heimat der Zwerge gewesen sein soll). In der Nähe befinden sich auch die Sababurg (das Dornröschenschloss) und die Trendelburg (Heimat von Rapunzel). Ach ja, laut Ruderkamerad Frank war natürlich Lohr am Main die Heimat von Schneewittchen.
Aufschrift an der "Gestiefelter Kater Fähre"
Nach rund einer halben Stunde Pause und einem Personalwechsel macht sich Auguste wieder auf den Weg. Kurz darauf bringt das Wurstmobil den Wenzel und mich nach Hannoversch Münden, um dort das Teilauto samt August abzuholen und nach Bad Karlshafen zu verfrachten.
Aufgrund einer unplanmäßigen Wartung der Hängerbeleuchtung kommt der Landdienst nur wenig vor den Ruderern in Bad Karlshafen l. U. an. Linkes Ufer war das Unterscheidungsmerkmal des dortigen Bahnhofs der längst stillgelegten Carlsbahn entlang der Diemel nach Hümme, der Bahnhof Bad Karlshafen r. U. an der Sollingbahn Ottbergen-Northeim wird noch im Zweistundentakt bedient. Im Bildhintergrund ist das rechte Ufer (links im Bild) wieder niedersächsisch, Bad Karlshafen liegt an beiden Ufern und gehört zu Hessen.
Ein Lint unterwegs nach Bodenfelde
So macht sich Auguste also fertig zum Anlegen. Diesmal ist die Pause ausgiebiger, es geht erst nach gut einer Stunde weiter. Die Zeit wird unter anderem zur stullenmäßigen Verpflegung aus dem Wurstmobil genutzt.
Auguste auf Kurs zum Anlegen. Im Hintergrund übrigens
die Boots-Sauna "Jacques Galland" der Weser-Therme, dahinter die
Straßenbrücke, der Campingplatz und letztlich die Hessischen
Klippen hinter der Diemelmündung. Die Weser biegt zwischen
Campingplatz und Berg nach rechts ab, was man hier nicht erkennen kann.
Am rechten Ufer, etwas oberhalb der Hessischen Klippen, liegen die
Hannoverschen Klippen mit dem 2011 errichteten Weser-Skywalk.
War es bislang noch weitgehend trocken, so beginnt es nun stetig zu regnen, was sich natürlich auch auf die Stimmung auswirkt. Besonders die beiden Hilfssteuerleute auf der Bank, die nichts zu tun haben, leiden im nasskalten Wetter. Nächster Zwischenstopp ist Blankenau, früher mal Bahnhof an der Strecke Holzminden-Scherfede. Obwohl eher mit regionalem Charakter, verkehrte hier bis 1984 sogar ein D-Zug-Paar Aachen-Braunschweig. Auf diesem Teil wurde 1988 der Verkehr eingestellt. Ich habe in Blankenau aber noch eine V60 mit ein paar Güterwagen gesehen, das muss dann wohl 1988 bei einer Schüler-Wanderfahrt gewesen sein.
Die nächste Pause findet wiederum in Höxter statt, wo die völlig durchgefrorenen Banksitzer von Bord gehen. Allmählich beginnt die Planung zu kippen, als Ziel wird nun Lüchtringen angepeilt.
Tatsächlich lassen wir es bei Lüchtringen bewenden. Das Stück von Corvey dauert gefühlt deutlich länger als die knapp 15 Minuten, die die Bilddateien später angeben. Immerhin ist es bereits nach 18 Uhr, es ist noch etwas Fahrerei nach Holzminden, die Zimmer in der Jugendherberge müssen bezogen, eine heiße Dusche genommen und dann zum Abendessen aufgebrochen werden.
Lüchtringen - Schluss für heute
Ach ja, es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass wir am Nachmittag mobiltelefontechnisch Anpfiff- und Toralarm aktiviert hatten. Da die Roten (Hannover 96) schon sehr früh ein Gegentor kassierten und Wolfsburg bald in Führung ging, war trotz des zeitweiligen Torgewitters kein wirkliches Interesse da, den aktuellen Stand zu verfolgen. Nebenbei bemerkt sollte das Handy auch nicht dauernd dem Regen ausgesetzt werden. Um so erstaunter sind wir dann nach dem Anlegen, dass 96 gegen Kaiserslautern doch noch 2:1 gewonnen und Wolfsburg den Vorsprung in Form eines 2:3 gegen Stuttgart verspielt hat. Also Europaliga-Qualifikation für die Roten. Die Eintracht meiner neuen Heimat Braunschweig hat ihrerseits mit einem Sieg den 8. Platz verteidigt. Wahrscheinlich werden mich jetzt sowohl rot als auch blau-gelb dafür hassen, mit dem jeweils anderen Verein gemeinsam genannt worden zu sein ...
Der Weg zum Ristorante ist zum Glück nicht weit, und jetzt hat auch der Regen nachgelassen. Hinzu kommt, dass der Wirt sich vom Einfall von 15 hungrigen Ruderern nicht beirren lässt. So nimmt der Abend ein gutes Ende.
6. Mai 2012: Noch eine halbe Stunde später als am Vortag, um 8 Uhr, gibt es Frühstück. Der anschließende Kriegsrat stellt dann einvernehmlich fest, dass aufgrund der entgegen der Planung um knapp 10 Kilometer längeren Distanz und einer allgemeinen Ermattung nicht bis Hameln, sondern nur bis Bodenwerder (Kilometer 111) gefahren wird. Nicht zuletzt ist uns bewusst, dass nach der Ankunft noch das Boot geputzt, verladen und nach Hause gefahren werden muss, was auch einiges an Zeit beanspruchen wird.
Zunächst jedoch starten wir trocken in den Tag, so dass das Herrichten von Auguste in Lüchtringen flink vollbracht ist. Gegen 9:45 Uhr, deutlich vor der geplanten 10. Stunde, sind wir schon auf dem Wasser.
Lüchtringen - Vorbereitungen im Trockenen
Fluss-Kilometer 76 ist genau an einem Baum, aber deutsche Gründlichkeit
wird auch mit so einem Problem fertig ...
Die Teiletappen sind heute kürzer als gestern, als Ziel für eine größere Pause ist Polle vorgesehen. Die Burg Polle, eigentlich "Burg Everstein bei Polle" (zur Abgrenzung von der "Burg Everstein auf dem Burgberg", auf den beiden Kuppen des Eversteins, 10 km südlich), ist seit ihrer Zerstörung durch schwedische Truppen 1641 eine Ruine, auch wenn sie 1984 saniert wurde. Teile der Burg gingen noch am 8. April 1945 in schweren Kämpfen zwischen der Waffen-SS bzw. der Wehrmacht und amerikanischen Truppen verloren, die Bevölkerung war überwiegend bereits zwei Tage vorher aus dem Ort geflohen. Die Grafen von Everstein gingen im 14. bzw. 15. Jahrhundert unter, der letzte Graf verheiratete seine vierjährige Tochter mit dem Sohn des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg (also den Welfen).
Nächstes Ziel ist wiederum Grave. Dort angekommen, besteht jedoch bei niemandem an Bord Bedarf nach einer Landpause, so dass wir kurzfristig beschließen, auf dem Wasser zu bleiben und uns treiben zu lassen. Wir haben das gerade etwa 500 Meter weit getan, als das Telefon klingelt: In Bodenwerder keine rückenschonende Möglichkeit, Auguste aus dem Wasser zu bekommen, und vorher auch nicht. Für uns kommt nun der Höhepunkt der Fahrt, unser Schiffchen rund 600 m gegen die Strömung zu rudern. Es geht langsam voran, etwa 1 Meter pro Schlag statt wie sonst 10, aber immerhin. Sehenswert ist die Fähre Grave. Jahre nach Einstellung der alten Fähre 1977 mangels Fährmann investierte der 2003 gegründete Kultur- und Fährverein in den Bau einer mittels Solarenergie betriebenen Personen- und Fahrradfähre. Seit 2005 gibt es nun einen von Ehrenamtlichen durchgeführten Fährverkehr. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor werden aus Brandschutzgründen nicht transportiert, Fahrräder mit Elektromotor aber schon. Mehr Informationen gibt es auf der Homepage des Vereins. Bitte auch beachten, dass werktags nun erst ab 14 Uhr Betrieb ist, die Gemeinde gibt noch 10 Uhr an. Bilder vom Bau der Fähre gibt es auch bei der Wikinger-Werft. Dass das Fahrzeug wie beworben mit den beiden Riemen gerudert werden kann, halten wir aber für eine heftige Übertreibung. Der Leser möge die beiden Stöckchen (die eine Person gar nicht gleichzeitig ins Wasser bekommt) mit den acht Riemen Augustes vergleichen, wobei Auguste wahrscheinlich noch strömungsgünstiger gebaut ist. Nach Aussage des anwesenden Fährmanns bekommt Gravena achtern noch einen Elektro-Hilfsantrieb für den Notfall.
Die Solarfähre "Gravena" in Grave
Gravena und Auguste im Vergleich
Immerhin hat uns die Knechterei gegen den Strom dazu verholfen, noch ein würdiges Ende der Tour zu haben. Einfach so am Ufer zu liegen und plötzlich vom Ende überrascht zu werden, wäre ja auch langweilig gewesen.
Nach ausgiebigem Putzen Augustes wird das gute Stück auf den August verladen und wir machen uns auf den Heimweg, entweder direkt zum Bahnhof wie ich oder nach einer Wurst aus dem gleichnamigen Mobil. Mein letztes Problem an diesem Tag ist, dass ich um 15:28 in Hameln am Fahrkartenautomaten stehe, der mir die Karte für eine Verbindung ab 15:28 Uhr verkaufen will ... so viel Vertrauen, den richtigen Bahnsteig mitsamt Trolli in Nullzeit zu erreichen, habe ich dann doch nicht.